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Wie lerne ich Stücke auswendig? Memoriergänge.

Autorenbild: Rebecca BlanzRebecca Blanz



Memoriergänge. Dieser Begriff fiel mir letzte Woche ein, als ich sonntagsmorgens wie eine Irre für anderthalb Stunden quer durch Mannheim gelaufen bin, um die Rückertlieder wieder und wieder durchzugehen, innerlich durchzusingen und auch zu hören.

Man kennt das ja von Sportlern, die von Kameras vor ihrer Ski-Abfahrt, ihrer Kür oder ihrem Stabhochsprung erfasst werden, während sie innerlich ihre Leistung vorab durchgehen.

Als ich noch Tanzwettkämpfe bestritten habe, nannten wir das immer „Mentaler Durchgang“, wo wir uns mit der Formation alle an den Händen gefasst haben, das Turnierlied angestellt wurde und wir gemeinsam die Choreographie durchgegangen sind. Hörend, innerlich tanzend. Da dranzubleiben ist manchmal gar nicht so leicht, aber dieses Lernsystem hat sich im Sport auf jeden Fall bewährt.

 

Etwas abgewandelt sind jetzt also meine „Memoriergänge“. Als ich im Opernstudio war, musste ich teilweise drei Rollen gleichzeitig lernen, am Ärgsten war das vermutlich in Wagners „Ring“. Tja, was tut man? Natürlich hat man am Theater Korrepetition, sprich man singt die Rolle mit einem Pianisten zusammen in einem Raum durch, wird korrigiert, singt es wieder, geht irgendwann raus und ist hoffentlich schlauer als vorher. Aber mit der Stimme kann man sowas nicht unbegrenzt machen und es gibt ja auch noch andere Leute, die Anspruch auf Korrepetition haben. Das Einfachste ist, sich selbst einen Raum zu suchen und zu üben, was man auch unbedingt tun sollte – das liegt auf der Hand.

Doch auch da: Die Stimme ist nicht unbegrenzt belastbar.

Ein Lehrer empfahl mir mal, überkreuz zu laufen, während ich Dinge auswendig lerne und singe, weil die Synapsen im Hirn da irgendwelche Querverbindungen aufbauen.

Das bringt es übrigens wirklich. Wird aber irgendwann auch langweilig.

Da ich sowieso gerne an der Luft bin, habe ich mir eines Tages dann meine Kopfhörer und drei verschiedene Lieblingsaufnahmen der jeweiligen Werke geschnappt, bin rausgegangen und habe das zu Lernende wieder und wieder gehört. Wichtig ist hier noch zu sagen, dass man auf jeden Fall verschiedene Aufnahmen mitnehmen sollte, denn sonst fährt man sich in eine Interpretation fest, was bedeutet: Ein bestimmtes Tempo, kein Spielraum, keine eigene Meinung zum Werk. Das wäre falsch.

 

Irgendwann habe ich mitgesprochen, irgendwann mitgesungen – meistens tonlos und nur innerlich, aber ich glaube, so mancher arme Mensch, der mir entgegenkam, hat irgendwelche komischen Tonfetzen aufgeschnappt und dachte, ich hätte den Verstand verloren. Davon bekomme ich allerdings Gott sei Dank nichts mit.

Letzte Woche war also wieder einer meiner Memoriergänge mit den Rückertliedern. Diese sind deshalb tückisch, weil man wirklich zählen muss, vor allem in einem der Lieder, „Um Mitternacht“ heißt es. Sprich, man läuft so durch Mannheim und ertappt sich bei:

 

„Um Miiiiii (zwei, drei, vier, fünf) tternaaaaaacht (drei, vier, fünf, sechs und) haaaaab ich gewaaaacht“ oder sowas.

 

Alternativ geht auch:

 

„Um Miiiii (bam, bam, bam, bam) tternaaaaacht (bam, bam, bam etc.“

 

Aber was soll ich sagen? Das bringt es. Hat natürlich noch nicht wirklich was mit Kunst zu tun, das kommt dann später. Bei den Rückertliedern jetzt war das alles schon da, es war nur eine Rückversicherung für mich. Aber beim Ring, bei Parsifal, bei all den anderen Opern und Liedern ist das eine absolut solide Basis.

Es gibt Kollegen, die Notizbücher vollschreiben mit zu kennenden Texten, eine andere sehr erfolgreiche Alternative. Das mache ich persönlich besonders gerne bei Mozart-Rezitativen oder ähnlichen Dingen mit viel Text ohne Pausen. Doch die Aktivität gefällt mir dann doch besser.

Und auf den Begriff „Memoriergänge“ war ich dann sehr stolz letzte Woche.

Diese Woche gibt es dann Zauberflöte. Die habe ich so oft gesungen, dass ich sowas nicht mehr brauche. Aber rausgehen werde ich trotzdem. Vielleicht mit anderer Musik. Vielleicht aber auch mit der Zauberflöten-Overtüre, denn die wird einfach nie langweilig.


Foto von Frank Soens

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