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Stimmfächer und andere Sinnkrisen

Autorenbild: Rebecca BlanzRebecca Blanz



Spann deine(n) Fächer auf

Ich sitze mal wieder länger im Zug und schreibe. Naja, was heißt „mal wieder“, hat ja jetzt eine Weile gedauert. Wie auch immer, manch einer lacht mich aus, weil ich lieber 10 Stunden Zug fahre als eine Stunde zu fliegen, aber vieles ist leichter so. Zum Beispiel ist man gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen und ohnehin habe ich schon zwei Stunden geschafft. Wird also.

Heute fahre ich nach Wien, die Stadt, in der ich studiert habe, und deswegen dachte ich, ich schreibe heute über das, was mich dort am meisten geprägt hat. Hm. Ne. Eigentlich hat es mich vorher auch schon geprägt, man könnte sagen ich bin die Personalisierung dieses Begriffs. Welcher Begriff? Kann ich euch sagen:

Fachwechsel. 

Junge, Junge, Junge, ich hab glaube ich fünf davon durchgezogen im Laufe der letzten neun Jahre, davon vier in den letzten fünf. Mich haben viele Menschen angesprochen, wie es mir damit ging und wie ich das gemacht habe. Deswegen ist es mir jetzt einen etwas längeren Post wert. 

Mit 15 habe ich für den LandesJugendChor „meines“ Bundeslandes NRW vorgesungen. Ich bin im Chor aufgewachsen, deswegen hatte ich schon einen relativ großen Erfahrungsschatz und war grundsätzlich im Sopran 1 eingesetzt worden. Bis zu diesem Tag. Denn die beiden Chorleiter*innen sagten „Hm. Irgendwie hast du was in der Stimme, was dunkler ist. Irgendein Fundament, was anders ist. Magst du mal Sopran 2 ausprobieren beim Blattsingen?“ Der Geist hilft unser Schwachheit auf von Bach – war irgendwie witzig, erst 1. Sopran vom Blatt, die Chorleiterin sang parallel den 2., und dann wurde getauscht. Am Ende bin ich doch in den 1. Sopran gekommen, aber dieses Vorsingen habe ich nicht vergessen. Das ist jetzt 13 Jahre her. Ich bin den beiden sehr dankbar, denn sie waren in der Lage zu sagen „Ok, du bist kein hoher Sopran. Aber Mezzo bist du auch nicht“. Ich habe mich schon vor ein paar Jahren bei ihnen persönlich dafür bedankt, aber an dieser Stelle möchte ich das noch einmal offizieller tun.

Zwei Jahre später wurde ich Jungstudentin und mein Professor dort sagte Ähnliches. In meinem dritten Semester gab er mir die Arie der „Rosina“, Una Voce poco fa von Rossini aus der Oper Der Barbier von Sevilla. Wildes Ding. Ich habs geliebt. Deswegen, weil der Stimmunfang riesig ist und sowohl Höhe als auch Tiefe gefordert werden. Ok und die Rolle ist auch rotzfrech, das fand ich auch relativ passend!

Naja, ich hatte aber damals von Oper komplett keine Ahnung und ohne es zu merken, war ich im Mezzofach gelandet. Als mein Lehrer mir das damals sagte, habe ich angefangen zu weinen. Die Stunde war gegen 15:30 am Nachmittag. Ich habe in der Stunde geweint, im Zug nach Hause bis spät abends, wo meine Mama komplett nicht wusste, wie sie mit mir umgehen soll.

Ich habe mich gehasst dafür, so weinen zu müssen, weil ich alle Menschen meide, die sagen „wer höher singt, ist besser“. Jetzt war ich selber so eine, dachte ich. Aber meine Seele wollte das einfach nicht, ich wusste im tiefsten Inneren vermutlich, dass das einer der falschesten Schritte war. Dazu aber später mehr, denn wann ist „falsch“ denn komplett „falsch“?

Nunja. Ich machte mein Abitur, blieb an derselben Hochschule, beim selben Lehrer für Bachelor und blieb Mezzosopran. Das Problem, wenn man im hohen Mezzofach singt, ist, dass man auch da oft keine Ahnung hat, in welchem Bereich man sich aufhalten sollte, auch hier gibt es viele Unterschiede. Jemand, der die oben genannte Rosina singt, ist noch lange keine Carmen. Blöd gelaufen: das wusste ich alles nicht und es wurde mir auch nicht gesagt.

Und so wurde ich in meinem ersten Semester für Olga in „Eugen Onegin“ von Tschaikowski vorgeschlagen. Eine der tiefsten Rollen, die es für Mezzosopran überhaupt gibt. Meine Kommilitonen von damals wissen das (bis jetzt) zum Großteil noch immer nicht und hätten ich vermutlich direkt gelyncht. Sie wissen es aber nicht, weil ich mich letztlich dagegen entschieden habe, einfach in den Opernchor gegangen bin und das gesungen hab, was man im 1. und 2. Semester singt: fünftes Bauernmädchen von links und schön entspannt in der Gruppe. 

Das ging dann immer so weiter und ich habe im Laufe des Studiums ein paar Partien singen dürfen, um die ich wirklich dankbar bin, die ich auch heute noch im Repertoire habe. Aber man hört schon heraus, so ganz passte das nicht. Ich glaube, ein Satz meines Lehrers fasst das ganz gut zusammen:

„Ist ja toll, dass du ein hohes d ohne Probleme aushalten kannst. Ich glaube trotzdem nicht, dass du ein Sopran bist.“

Der Punkt war, dass ich mich als Mezzo immer irgendwie falsch gefühlt habe. Für Hosenrollen sehe ich viel zu weiblich aus, bin immer einen Kopf kleiner als meine Kolleginnen und irgendwie wollte ich das auch gar nicht singen. Mich haben ganz andere Rollen gereizt als die, die ich am Anfang gesungen habe. 

Long story short: Ich war nicht mehr ich. Ohne es zu merken.

Das hatte alles Mögliche zur Folge, natürlich irgendwie depressive Verstimmungen, Melancholie und Verhaltensmuster, die das alles zu kompensieren wussten. Ich hab Dinge getan, Sätze gesagt, die sich für mich damals schon fremd anfühlten und die jetzt klingen wie aus einem anderen Leben, von einem anderen Menschen. Auf Anfrage führe ich das gerne aus, aber hier jetzt nicht. Mein Bachelor endete mit Panikattacken und man musste mich auf die Bühne schieben, weil ich nicht mehr wollte. Der Satz einer Lehrkraft „Jetzt stellen Sie sich nicht so an“ hat mich geprägt für Jahre. Natürlich hätte ich sagen können, hey Leute das ist völlig schlimm für mich, aber ich hatte das verdrängt, hab einfach weitergemacht. 

Nach dem Bachelor habe ich ein halbes Jahr pausiert. Das hat kaum jemand mitbekommen.

Die Aufnahmeprüfung in Wien habe ich aus dieser Pause heraus gemacht, ohne zu wissen, ob überhaupt ein Platz für mich da ist. Aber ich habe bestanden, einen Platz bekommen und meine spätere Lehrerin (in Wien hatte ich übrigens zwei parallel) sagte die eindrückliche Phrase: „Ja Mensch, aber Ihre Stimme geht ordentlich in die Höhe hinauf, nicht wahr?“

Und so kam es. Kaum in Wien hat mir die gesamte Kommission gesagt, ich sei vieles, aber kein Mezzo, und so gingen wir es an, mich „nach Hause zurückzuholen“. Wir haben an einem Nachmittag stapelweise Klavierauszüge durchgeschaut, damit ich mir eine Liste machen kann, welche Rollen gut zu mir passen. Die Liste habe ich noch heute, vieles stimmt absolut. 

Klar war: eine leichte Stimme, eine besonders hohe habe ich nicht – bzw man sagt ja gerne ich „bin“ diese Stimme. Toll oder? Habt ihr da mal drüber nachgedacht? Fakt am Rande.

Also die Richtung war klar, aber wie komme ich da hin? Wir haben in Wien die Holzhammermethode versucht – sprich: ich hab einfach das Zeug gesungen, was auf der Liste stand. Und nach einem halben Jahr kam ich jedes Mal unter Tränen aus dem Gesangsunterricht, weil alles unter Druck gesungen wurde und meine seitlichen Hals- und Nackenmuskeln wehtaten.

Irgendwann rief ich meinen heutigen Gesangslehrer an, den ich bei einem Konzert noch vor Wien kennengelernt hatte, und er hat mich gerettet. Kann man wirklich so sagen. Meine Lehrerin in Wien war mit allem d’accord und hat alles aufgenommen, in ihren Unterricht integriert, das möchte ich hier noch betonen, aber ein Fachwechsel vom Mezzo zum Sopran ist anscheinend nicht so häufig in Unis anzutreffen. Jedenfalls wurde meine komplette Technik umgestellt, ein Meisterkurs im Sommer ergänzte das eindrücklich.

Parallel passierte schon die Maschinerie, die an einer so großen Hochschule normal ist, wenn man gefördert wird: Informative Vorsingen an der Wiener Staatsoper, viele Konzerte, das ganze Karussell. Machte alles nicht besser. 

Im Sommer dann im besagten Meisterkurs kam der Horrorsatz: „Wenn Sie so weitermachen, ist in maximal fünf Jahren Ende.“ Das war vor vier Jahren. Wir haben den Ansatz meines Lehrers ergänzt und jetzt kommt der Clue:

Ich habe im absolut leichtesten Sopranfach begonnen zu singen – manch einer erinnert sich an mein Video als Christel von der Post – denn der Körper muss diese höhere Spannung halten können. Die Muskelarbeit muss wie immer vom Stimmapparat abgegeben werden, der Körper die Kraft entwickeln. Das geht nur langsam.

Ein halbes Jahr habe ich mich geweigert, etwas anderes zu singen als Soubrettenrepertoire (also ganz federleichtes, häufig lustiges Repertoire im Sopranbereich, ein herrliches Fach), weil ich gespürt habe, dass ich nichts größeres singen möchte. Denn ENDLICH habe ich begonnen, auf mich zu hören. Dann kam eins der Unikonzerte und ich sollte einen etwas schwereren Liederzyklus singen, die Sieben frühen Lieder von Alban Berg – mit Orchester. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das für mich angenommen hatte, aber dann wurden diese Lieder mein Schlüssel. Das Konzert lief wirklich gut und danach habe ich mich getraut, größeres Repertoire zu integrieren.

So ging es dann weiter. Aus den leicht lyrischen Sachen wurden lyrische, schwer lyrische, irgendwann ging es ins dramatische Koloraturfach und irgendwann dachte ich „Hm, ne, Koloratur ist für dich nicht so das Steckenpferd“ – vor allem wenn man Kolleginnen hört, die dieses Fach WIRKLICH ausfüllen können. Hier kurz der Dank an den Casting Director vom Theater an der Wien, der mir das exakt so gesagt hat. 

Wenn man das mal auflistet, sieht es so aus: 

2008-2011 Sopran, in welchem Bereich auch immer

2011-2016 Mezzosopran

2016-2017 Die große Suche

2017-2018 Leicht lyrischer Sopran

3/2018-9/2018 Lyrischer Sopran

10/2018-3/2019 Dramatischer Koloratursopran

 

Was mich da durchgetragen hat, ist immer die Frage gewesen, welche Rollen ich wirklich singen möchte. Es hing immer eine Identitätsfrage dahinter. Auch durchgetragen haben mich die Menschen, die immer an meinen Weg und meine Stimme geglaubt haben. Wir sind noch immer im Kontakt, arbeiten natürlich weiter, denn es beginnt gerade erst, aber die betreffenden Personen dürfen sich angesprochen und umarmt fühlen.

„Wer bin ich, was macht mich aus, wen möchte ich darstellen, was möchte ich sein?“ 

Schon länger weiß ich, welche Rollen das sind, aber langsam nähere ich mich dem an, das auch auf der Bühne auszufüllen. Und siehe da: Viele loben mich, lange Mezzo gesungen zu haben, denn die Tiefe brauche ich. Jedes Mal. So viel zum Thema, es ist „falsch“. Es ist nie gänzlich falsch, manchmal braucht man nur eine Weile, um den Sinn zu sehen. Meiner war definitiv, dass ich mir nicht die Stimmlippen mit Anfang 20 zerballert habe UND jetzt stolze Kennerin von ungefähr allem an Frauenrepertoire bin, was es gibt (gefühlt). 

Also immer gerne melden bei Repertoirefragen, das meine ich ernst!

In ein paar Wochen werde ich eine Festanstellung beginnen, in meinem Fach: „Jugendlich-dramatischer Sopran“. Jetzt kommen die ganzen Stimmen mit „Sie ist aber arg jung dafür, ne? Noch keine 30.“ 

Aber wisst ihr was? Es ist mir völlig egal, denn das bin ich und ich habe verdammt nochmal lange nach mir gesucht. Ihr könnt mir nichts mehr erzählen, niemand bringt mich mehr von mir weg. Und ich wünsche jedem, der Ähnliches durchmacht, dasselbe Gefühl! Go for it, bleibt euch treu, hört in euch hinein und vertraut immer eurem Bauch. Der ist nämlich schlaubi. Foto von Verena Eckloff


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