Derzeit probe und singe ich in Mannheim Gustav Mahlers Rückertlieder, zum ersten Mal in meinem Leben mit Orchester. Als der Dirigent mich dafür gefragt hat, wusste er wohl nicht, was für einen Lebenstraum er mir damit erfüllt, denn die Rückertlieder sind mit das Schönste, was es für Gesang auf der Welt gibt. Finde ich zumindest.
Nach einer Probe in Köln am Vortag für ein anderes Projekt kam ich dann am Donnerstag Abend in die Orchesterprobe. Vorher musste ich aber noch etwas essen und wie das halt so ist in diesem Berufsleben – man isst sehr oft alleine und mittlerweile finde ich das sehr schön.
Manchmal passieren einem aber auch besondere Dinge:
Ich nehme mir immer ein Buch mit, manchmal etwas zum Hören und noch seltener Noten. Ich entscheide mich für ein mexikanisches Restaurant, nehme mein „Wartezimmerbuch“ mit, was sich super eignet für kleine Leseepisoden, und setze mich. Den Begriff "Wartezimmerbuch" habe ich etabliert, weil ich immer, wenn ich mal zum Arzt muss, ein möglichst leichtes Buch in meine Handtasche werfe, damit ich keine Zeitschriften lesen muss. Soweit, so gut und alles wie immer. Erstmal schlage ich die Karte auf, entscheide mich, lege die Karte weg und greife zu meinem Buch. Am Nebentisch links befinden sich zwei Freunde, die mit dem Kellner angeregt spanisch, aber ansonsten breitestes Pfälzisch sprechen. Der Kellner wiederum dreht sich irgendwann zu mir und fragt, ob ich denn schon bestellt hätte, worauf ich grinsend mit „Nö“ antworte, was er natürlich umgehend ändert. Interessanterweise stört mich das Warten aber gar nicht, denn ich bin ja vertieft in mein Buch, abgelenkt nur durch spanische Pfälzisch-Intermezzi.
Der Kellner kommt zurück, schaut interessiert, bringt mein Getränk, zögert, und geht wieder. Ich bedanke mich und lese weiter. Zwei oder drei kurze Kapitel später kommt eher nochmals mit dem Essen. Diesmal bleibt er stehen.
„Das Buch sieht sehr spannend aus, was ist das?“
„Oh, ich finde es fantastisch, viele kleine Geschichten, die ursprünglich mal für ein Psychologie-Magazin geschrieben wurden. Extrem unterhaltsam und sehr inspirierend.“
„Wirklich?? Wäre das etwas für einen 23. Geburtstag?“
(Ok, ich fühle mich tatsächlich alt)
„Ja klar! Mach gerne ein Foto.“
„Oh danke – ich lese sonst nur Sachbücher für die Uni, das wäre doch mal toll. Und naja Zuhause sonst noch spanische Bücher.“
„Also dieses Buch empfehle ich dir wirklich, man kann es sich sehr gut einteilen“
Eigentlich ist hier dann alles gesagt und nach kurzem Zögern geht der Kellner wieder. Ich esse erstmal. Ohne zu lesen, denn das habe ich logistisch noch nie hinbekommen.
Die beiden am Nebentisch reden munter weiter, mittlerweile in einer Sprachmischung, die ich nicht mehr 100% auseinanderhalten kann. Aber die Stimmung ist gut.
Der Kellner bringt ihnen noch ein Dessert und Tee, unterhält sich wieder auf spanisch, und sorgt dafür, dass sich wirklich alle umstehenden Gäste gut aufgehoben fühlen – mit Anfang 20 ist dieser Mensch definitiv begabt in der Gastro!
Er nimmt mein Essen mit und plötzlich höre ich kleine Schnipsel von Polnisch von links, der Kellner versucht sich darin. Ich kann exakt vier Worte Polnisch, aber die sehr überzeugt. Zwei davon kamen vor. Der spanische Pfälzer bemerkt mein Blitzen in den Augen, spricht mich an, ob ich denn auch polnisch sprechen würde, und so beginnt unsere Unterhaltung. Es geht um Sprachen, um die Pfalz und Mannheim. Irgendwann darum, ob ich in Mannheim wohne und was ich beruflich hier mache, was die anderen beiden machen, das Übliche Kennenlernen eben. Die Dame gegenüber dem pfälzischen Spanier ist Dolmetscherin, wie sich herausstellt. Vor allem Live-Dolmetschen liebt sie, also diese Kaliber, die in großen Live-Shows die internationalen Gäste auf deutsch synchronisieren. Solche Menschen hatten schon meinen Respekt, als ich mit 12 noch „Wetten, dass...“ geschaut habe. Und so eine Dame sitzt also nun neben mir. Sie sagt, sie muss sehr viel sprechen in ihrem Beruf und als sie hört, dass ich zum Singen in Mannheim bin, erzählt sie. Ihre Stimme bräuchte Unterstützung und sie hätte ein paarmal Unterricht gehabt online, aber würde ihre Lehrerin gar nicht persönlich kennen. Kurzum, wir verabreden uns für gestern Abend, denn ich habe einen Raum im Probengebäude zum Üben und Unterrichten und ein Slot ist noch flexibel. Dann muss ich aber erstmal zügig los, wir tauschen unsere Nummern aus und ich eile in die Probe. Achja, beim Rausgehen sagte der spanische Pfälzer, Fiderico im Übrigen, er liebe meine knallorangene Mütze. Und beim Bezahlen konnte sich der Kellner nicht verkneifen zu sagen, wie toll meine Ohrringe seien. So geht man doch gerne in Proben.
Bei so Projekten mit Konzerten und Proben ist mir Unterrichten häufig zu stressig und ich mache, sofern ich überhaupt einen Raum bekomme, nie mehr als drei Slots aus. Ich muss mich dazu in der Verfassung sehen und merken, ich habe die Kraft noch dafür. Glücklicherweise war das gestern überhaupt kein Problem und der Raum, den mir der Mahler-Dirigent zur Verfügung gestellt hat, war wirklich sehr schön.
Die Dolmetscherdame, Inna heißt sie, kam als Letzte. Der Tag verlief eh schon freudig und als ich gestern Abend nach 3-4 Stunden Singens aus dem Probengebäude kam, war ich sehr beschwingt. Inna möchte jetzt öfter kommen, online ist für sie in Ordnung, aber sie ist überglücklich, dass ihr spontan geholfen werden konnte.
Jetzt steht für diese Woche nur noch das Konzert an und ich bin mir sicher, dass ich es noch eine Spur seliger singen werde als bislang gedacht. Mannheim ist wohl gut zu mir diesmal.
Ich freue mich auf meine Mahler-Lieder. Achso, ihr kennt die gar nicht? Dann hört euch doch eins davon mit mir an, in einer schon etwas älteren Version mit Klavier. Es begleitet mich der wunderbare Andreas Fröschl.
Schreibt gern, wie es euch gefällt – und/oder kommt zu meinen Orchesterkonzerten, die ihr auf meiner Website findet!
Genauso freue ich mich über Inspirationen zu euren "Wartezimmerbüchern" :)

Foto von Theresa Pewal
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